11999 Transit Libyen:Der Migrationsdruck aus Afrika nimmt zu, das Ziel ist Europa

20160407 16:06:00 redazione-IT

[b]Von Jörg Bremer, ROM, 6. April[/b]
Geradezu naiv wirkt auf den Migrationsforscher [i]Ugo Melchionda[/i] der Plan, ein paar hundert Soldaten aufzustellen, um Österreich auf dem Brenner gegen Migranten zu verteidigen. Den Regierungen in Wien und andernorts in Europa fehle offenbar weiter eine realistische Vorstellung vom anschwellenden Migrationsdruck, gegen den nur an seinen Ursprungsorten erfolgreich vorgegangen werden könne, sagt der Chef des italienischen Forschungsinstituts für Einwanderung, Idos.

Im Blick hat Melchionda dabei weniger die Kriegsflüchtlinge aus Syrien oder Asylbewerber aus Pakistan und Afghanistan, deren bisherige Trasse über den Balkan nun verriegelt ist, als vielmehr die Migranten, die aus Afrika mit Hilfe von Schleppern über das im Chaos versunkene Libyen nach Italien drängen. In den ersten drei Monaten dieses Jahres sind 20 000 Migranten in Italien angekommen; das sind achtzig Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Jahres 2015. Die 110 000 Plätze in den italienischen Auffanglagern sind nahezu vollständig belegt.

Um die Dimension des Flüchtlingsstroms zu begreifen, müsse man sich nur vor Augen führen, dass in Afrika jede Frau im Durchschnitt sieben Kinder zur Welt bringe und dass sich die Bevölkerung dort bis zum Jahr 2050 auf zwei Milliarden Menschen verdoppeln werde. „Dieses Afrika kann aus verschiedensten Gründen seine Menschen nicht ernähren“, sagt Melchionda.

In den vergangenen Jahren waren die meisten Migranten aus Marokko oder Tunesien in die EU gekommen. Ihre Zahl lasse sich mittlerweile durch Verträge der EU-Staaten mit den nordafrikanischen Partnerländern kontrollieren. Das gelte nicht für Eritrea, Äthiopien, Somalia und Südsudan – das statistisch wohl ärmste Gebiet der Welt, wo Krieg, Hunger und politische Gewalt gleichermaßen Menschen in die Flucht treiben. Zudem müssten Nigerianer im Norden ihres Landes den Terror von Boko Haram fürchten, während der Süden, wie andere Teile Zentralafrikas, von einer Umweltkatastrophe heimgesucht werde, von einem Klimawandel nach Abholzungen, von Wassermangel, Versteppung und Verwüstung. Der Migrationsforscher berichtet von Ländern, in denen Bauern jedes Jahr teuer genetisch modifiziertes Saatgut für Getreide kaufen müssten, weil sie aus dem alten keine neue Aussaat gewinnen könnten, und deshalb zahlungsunfähig würden. Besonders fruchtbare Anbauflächen habe zudem China aufgekauft. Dort werde nicht für die einheimische Bevölkerung geerntet, sondern für den chinesischen Markt.

Nicht zuletzt habe der Sturz des Ölpreises in den Staatshaushalten afrikanischer Förderländer zu erheblichen Einbußen geführt, bis hin zu wirtschaftlicher Not der Bevölkerung. Besonders arme Familien in Nigeria verkauften Mädchen zur Prostitution an Menschenhändler, die sie nach Europa brächten. Korruption und Vetternwirtschaft in den fragilen Staaten täten ihr Übriges, um Menschen in die Flucht zu treiben, sagt Melchionda. „Da ist es ziemlich schwer, zwischen Leuten zu unterscheiden, die vor Verfolgung, Krieg oder Hunger fliehen oder ,lediglich‘ aus wirtschaftlichen Gründen auswandern.“ Die meisten Afrikaner aber, die ihre Heimatorte verlassen, blieben in der Nähe ihrer Heimat oder zumindest auf dem Kontinent. Nur wenige „Wohlhabende“ unter den Armen, das sind viele Zehntausende, gingen das lebensgefährliche Risiko einer Überfahrt nach Europa ein.

Wer diesen Weg aber einmal eingeschlagen, „wer alles aufgegeben und sich auf Gedeih und Verderb Schleppern ausgeliefert hat“, sagt Christopher Hein vom Italienischen Flüchtlingsrat (CIR), den halte keine nationalstaatliche Idee von scheinbar kontrollierbaren Grenzen und auch nicht eine „Obergrenze“ von dem Versuch ab, erst das Mittelmeer und dann den Brenner zu überwinden. Hein will sich nicht auf Schätzungen der Zahl von Migranten einlassen, mit der Europa in diesem Jahr werde rechnen müssen. Agenturberichte von 250 000 oder sogar 500 000 in Libyen Wartenden will er nicht kommentieren. Würde sich die Lage in Libyen stabilisieren, könnte die Zahl abnehmen. Schließlich war das rohstoffreiche Land mit sechs Millionen Einwohnern vor dem Bürgerkrieg von 1,6 Millionen ausländischen Arbeitskräften abhängig gewesen.

Seit wenigen Tagen versucht eine Übergangsregierung in Tripolis ihre Macht zu festigen. Noch kann mit ihr kein EU-Staat einen Vertrag über die gemeinsame Grenzkontrolle und gegen Schlepper schließen. Andererseits gibt es eine libysche Marine, die dieser Tage Menschen aus Seenot rettete und drei Schlepperschiffen verbot, in See zu stechen. Weite Landstriche Libyens sind dennoch nicht zu kontrollieren, und die Furcht vor der Ausweitung des terroristischen „Islamischen Staats“ (IS) ist so groß, dass in den vergangenen Monaten kein Syrer mehr nach Libyen gekommen ist, um über einen libyschen Hafen nach Europa zu gelangen, wie das noch 2015 der Fall gewesen war. Wohl aber wollen jene die Route über das Mittelmeer nehmen, die bereits in Libyen sind.

Unterdessen ist in den italienischen Auffanglagern kaum mehr ein Platz frei. Hein berichtet, dies hänge auch damit zusammen, dass die italienischen Asylverfahren mit bis zu einem Jahr sehr lange dauerten und dass negativen Bescheiden der langwierige Gerichtsweg beschritten werde. Dabei habe Rom die Zahl der Anerkennungskommissionen von zwanzig auf 46 mehr als verdoppelt. Nun sucht die Regierung weitere Lagerplätze sowie Gemeinden, die freiwillig weitere 10 000 Migranten im Rahmen des Programms zum Schutz und zur Integration von Familien und Jugendlichen ohne Begleitung aufnehmen. Meist kleine Orte, Riace in Kalabrien und Sutera auf Sizilien zum Beispiel, haben bereits 20 000 Migranten freiwillig aufgenommen. Dort kurbelt das staatliche Geld für Asylbewerber die lokale Wirtschaft etwas an.

Am 18. April will die EU prüfen, ob sie zur Eindämmung des Migrantenstroms aus Libyen im Rahmen der „Operation Sophie“ auch in libyschen Gewässern aktiv werden soll, um direkt an der Küste Schleppern das Handwerk zu legen. Zugleich pocht Ministerpräsident Matteo Renzi darauf, dass Italien – wie Griechenland – nicht allein gelassen werden dürfe, wenn Österreichs Armee am Brenner wie in alten Zeiten Aufstellung nimmt.

Fonte: FAZ.de
(Frankfurter Allgemeine Zeitung)

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